Judith Schreibmüller (Österreich)
Ich habe an der Universität Linz im Jahre 1993 das Studium der Betriebswirtschaftslehre abgeschlossen und war im Anschluss zwei Jahre als Marketing-Assistentin in einem Speditionsunternehmen in Salzburg tätig. Schon im Laufe des zweiten Studienabschnittes und dann definitiv während meiner Tätigkeit als Betriebswirtin in der Privatwirtschaft wurde mir klar, dass mich dieses Betätigungsfeld auf Dauer nicht befriedigen und ich meine berufliche Erfüllung eher im sozialen Bereich finden würde. Ich bewarb mich beim Landesschulrat für Salzburg als Lehrkraft für kaufmännische Fächer und trat noch im selben Herbst in eine Handelsakademie/Handelsschule als Lehrerin ein.
An meine erste Stunde an einem Mittwochmorgen im September 1996 erinnere ich mich noch, als ob es gestern gewesen wäre. Ich hatte vor lauter Aufregung die ganze Nacht davor natürlich kein Auge zugetan. Der Eindruck war überwältigend, als ich das erste Mal, ohne jegliche pädagogische Vorbildung, sondern lediglich mit dem erforderlichen fachlichen Wissen ausgestattet, vor einer Schulklasse von 36 Handelsschülern stand, die mich erwartungsvoll anblickten. Obwohl ich Mühe hatte, meine Aufregung und Angst zu verbergen, wusste ich bereits nach dieser Unterrichtseinheit von 50 Minuten, dass ich die richtige berufliche Entscheidung getroffen hatte.
Ich habe mir später des Öfteren die Frage gestellt, ob ich mich in dieser ersten Unterrichtsstunde anders verhalten hätte, hätte ich nicht das Studium der Betriebswirtschaft, sondern das der Wirtschaftspädagogik gewählt. Ich würde die Frage aus heutiger Sicht, nachdem ich letztgenanntes Studium aufgenommen habe, folgendermaßen beantworten: Zweifelsohne hätte ich in dieser ersten Stunde versucht, den Unterricht „nach Plan” ablaufen zu lassen. Ich hätte mich vielleicht an den diversen Unterrichtsrezepten von Grell und Grell orientiert, die ich, nachdem ich sie nun kennen gelernt habe, für überaus sinnvoll halte. Und auf jeden Fall hätte ich darauf geachtet, dass die Schüler sich diszipliniert verhalten, d.h., dass ich „die Fäden in der Hand” halte. Nach drei Jahren als Klassenvorstand war mir diese Klasse besonders ans Herz gewachsen.
Das Interessante daran ist, dass sich die Schüler auch korrekt verhalten haben, obwohl ich nicht mit einem „Rucksack” voller pädagogischer Unterrichtsmethoden aufwarten konnte. Ich denke, dass der erste Eindruck, den die Schüler von der Lehrkraft bekommen, ganz ausschlaggebend für die weitere Zusammenarbeit und die Lehrer-Schüler-Interaktion ist. Haben die Schüler zu Beginn das Gefühl, dass man „sie mag”, ist bereits vieles gewonnen. Im Laufe der nächsten Stunden gilt es dann für den Lehrer zu beweisen, dass er nicht lediglich verständnisvoll, humorvoll etc. ist, sondern auch von seinem Unterrichtsfach etwas versteht und den Lehrstoff mit didaktisch guten und sinnvollen Methoden umzusetzen imstande ist.