Christian Schacherreiter (Österreich)
„Sie sind der geborene Lehrer, Herr Kollege”, sagte die ebenso dicke wie resolute, ebenso kleine wie kompetente Professorin zu mir, bei der ich mein Unterrichtspraktikum absolvierte. Offen gesagt, ich schätzte und mochte meine „Einführende”, aber auf ihr Lob legte ich als vierundzwanzigjähriger Junglehrer wenig Wert. In den Lehrberuf war ich zufällig geraten und wollte ihm möglichst schell wieder entkommen.
Nach der Matura begann ich am Salzburger Mozarteum Violine als Konzertfach zu studieren. Ich wollte Orchestermusiker werden. Da ich aber schon als Gymnasiast lebhaftes Interesse für die Geisteswissenschaften entwickelt hatte, besuchte ich einige germanistische Lehrveranstaltungen als außerordentlicher Hörer. Der Neigungsschwerpunkt verschob sich von der Musik zur Literatur. Germanist wollte ich werden, aber natürlich nicht als Lehrer, sondern als Wissenschaftler, also „ernsthaft”.
Gleichzeitig begab ich mich Anfang der siebziger Jahre in den Nachsommer der Studentenbewegung und kurz darauf – die Welt wollte nicht von mir verändert werden – in die revolutionären Verheißungen von Liebe und Leidenschaft. Meine Freundin wurde schwanger. Wir brauchten Geld (Ja, so banal kann das Leben sein), und ich entschloss mich etwas verdrossen zur Lehramtsprüfung. So geriet ich unter die Lehrer ...
Merkwürdig war, dass ich mich von Anfang an in der Klasse wohlfühlte. Noch merkwürdiger war, dass sich Eltern, Schüler und Schulaufsicht (!) mit schmeichelhaften Rückmeldungen einstellten. Ein geradezu hymnisch formuliertes Praktikumszeugnis stürzte mich in eine Identitätskrise. Sollte ich tatsächlich ein Lehrer sein? Ich wollte es nicht wahrhaben. Immer wieder versuchte ich, dem Lehrerberuf zu entkommen. Ich schrieb und spielte einigermaßen erfolgreiche Kabarettprogramme – trotzdem blieb ich Lehrer.
Ich schrieb auch (wie geplant) meine Dissertation – trotzdem blieb ich Lehrer. Ich tat also dies und jenes, aber das Bleibende war und ist – Gott schütze mich! – der Lehrberuf! Man übertrug mir Aufgaben in der Fortbildung, holte mich an die Pädagogische Akademie, fragte mich ob ich nicht didaktische Arbeiten publizieren möchte. Es wäre völlig falsch zu sagen, dass der Lehrerberuf bloß so eine Art Brotberuf für mich ist.
Gut, mittlerweile habe ich mich akzeptiert. Ich bin ein Lehrer und sogar (23. Dienstjahr!) mit wachsender Begeisterung. Allerdings suche und brauche ich immer wieder die Herausforderung in anderen Arbeitsbereichen. Und ich habe den Eindruck, dass dieses Herumschwärmen im Schulfernen auch meinem Unterricht ganz gut tut. Mein didaktisch-methodisches Hobby ist mittlerweile die Vermittlung des angeblich nicht Vermittelbaren geworden. Zum Beispiel begeistere ich mich für Fragen dieser Art:
Wieviel Wittgenstein verstehen Vierzehnjährige, wenn man einen Vormittag mit ihnen arbeiten kann? – Oder: Ist einer 7. Klasse in drei Stunden so viel Musil zu erläutern, dass sie davon profitiert?
Nach und nach hat sich sogar die Lust an der grundsätzlichen pädagogischen Reflexion eingestellt, ich bin Chefredakteur der pädagogischen Zeitung „AHAes” geworden. – Und ich werde wahrscheinlich mein Berufsleben genau dort beenden, wo ich es nie beginnen wollte: im Lehrerberuf. Na ja, Gottes Wege... *)
*) Anmerkung der Redaktion: Inzwischen ist Herr Dr. Schacherreiter Direktor eines Linzer Gymnasiums geworden. Seine Prognose scheint sich zu bewahrheiten... (jm)